Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser - die eigenen Grenzen verschieben und Sicherheit gewinnen by Bentele Verena
Autor:Bentele, Verena [Bentele, Verena]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-29T04:00:00+00:00
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Bei meinen Vorträgen werde ich oft gefragt, warum ich mir als Blinde ausgerechnet Biathlon und Langlauf als Sportarten ausgesucht habe. Schließlich gibt es ja viel sicherere und einfachere Formen der Bewegung. Ich hätte zum Beispiel Langstreckenlauf machen können. Dabei ist man mit seinem Begleitläufer durch ein Seil verbunden. Die einzige Gefahr, die beim Laufen lauert, ist, umzuknicken oder zu stolpern, aber man stürzt in der Regel keinen Abhang hinunter. Ich habe mich für Langlauf entschieden, weil ich so viel Spaß an der Vielfalt habe, die dieser Sport bietet und erfordert. Ich kann klassisch oder Freistil laufen, und das Training bringt jede Menge Abwechslung mit sich: Fahrradfahren, Laufen, Krafttraining, im Sommer mit Skirollern unterwegs sein. Es war mir immer wichtig, ganz unterschiedliche Bewegungserfahrungen zu machen und meinen Körper ganzheitlich zu fordern. Außerdem liebe ich die Abwechslung zwischen der Anstrengung beim Laufen und der Ruhe beim Schießen. Ich komme mit einem Puls von 160 am Schießstand an und muss mich in Sekundenschnelle beruhigen. Auf der Matte habe ich mich komplett auf das Ziel zu fokussieren und darf mich nicht vom Lärm um mich herum ablenken lassen. Das Allerwichtigste aber ist die Begeisterung, die ich immer für diesen Sport empfunden habe. Sie hat mich erfolgreich gemacht.
Die Lust auf Geschwindigkeit und die Freude am Wintersport war bei mir immer größer als die Angst vor den Risiken, die man als blinde Athletin auf der Loipe eingeht. Außerdem ließen Konzentration auf die komplexen Techniken und die Glücksgefühle bei den Wettkämpfen keinen Raum, um zu grübeln oder an mögliche Gefahren zu denken. Risikobereitschaft hat mit Leidenschaft und Verantwortung zu tun. Die Kernfrage lautet für mich: Wie viel Verantwortung bin ich bereit zu übernehmen, um meine Ziele zu erreichen? Damit wäge ich zugleich ab, inwieweit ich mögliche Risiken tragen kann und möchte.
Dasselbe gilt auch für einen Begleitläufer. Es braucht jede Menge Mut, sich auf das Risiko einzulassen, die Führung für einen Blinden zu übernehmen.
Die Aufgabe des Begleitläufers besteht nicht darin, mir die Gegend wie bei einem Ausflug zu beschreiben: »Ach, rechts stehen jetzt ein paar wunderschöne große Tannen. Oh, links geht es drei Meter einen Abhang hinunter, da könnte man sich aber ganz schön wehtun.« So etwas sagt ein Begleitläufer nicht. Er konzentriert sich auf die unmittelbaren Hindernisse der Strecke, die ihm gefährlich erscheinen. Es gibt viele brenzlige Situationen im Training wie im Wettkampf: eine schmale Spur, die zwischen zwei Bäumen hindurchführt; Läufer, die einem mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommen; steile Abfahrten; kaputte oder holprige Spuren und Bodenwellen; schmale Tunnel etc. Der Begleitläufer dreht sich in kurzen, regelmäßigen Abständen um, um mich sicher über die Loipe zu manövrieren. Um alles aus meiner Perspektive zu beschreiben, macht er seine Ansagen spiegelverkehrt. Das ist ein Multitasking-Job: Mein Vordermann konzentriert sich auf seine Fahrt, auf die Hindernisse und auf meine Fahrt – und das alles in rasantem Tempo. In dieser Belastungssituation können leicht Fehler passieren.
Deshalb habe ich auch auf Walter, den Begleitläufer, mit dem in Nesselwang der Unfall passierte, keine Wut. Er hat diese Verantwortung auf sich genommen und mich darin unterstützt, meine Ziele zu erreichen.
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